Die Unvollendete ist vollendeter Genuss…

Kritik der Marbacher Zeitung vom 21.11.22 zum Herbstkonzert 2022

Von Arnd Bäucker 20.11.2022 – 11:59 Uhr

Die Sinfonia Marbach ist ein Laienorchester, das sich in Projektform trifft, um zwei Konzerte pro Jahr vorzubereiten.

In Marbach spielte das Orchester Sinfonia zwei Klassiker der Romantik von Franz Schubert und Frédéric Chopin.

Sie hatten sich ein hohes Ziel gesetzt, die Musikerinnen und Musiker von Sinfonia. Für sein Herbstkonzert in der Stadthalle hat sich das Marbacher Liebhaberorchester zwei kompositorische Perlen der Romantik erarbeitet: die Sinfonie Nr. 7 – die Unvollendete, von Franz Schubert – und das Klavierkonzert Nr. 1 in E-Moll von Frédéric Chopin. Beides Meisterwerke, die dem Ensemble in der Vorbereitung einiges abverlangt haben. Doch diese Mühen haben sich gelohnt: Rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörer beklatschten zum Abschluss die starke Leistung der 46 Männer und Frauen, die unter der Leitung von Dirigent Michael Kallenberger große Spielfreude bewiesen.

Ein Wechselspiel der Instrumente

Von Schuberts Unvollendeter sind nur zwei Sätze überliefert. Sie ist dennoch beliebt und bekannt, zeigt sie doch, mit welcher Vielfalt an musikalischen Mitteln der früh verstorbene Komponist ein Thema zu variieren vermochte. Der erste Satz, der allegro moderato – also mäßig schnell – gespielt wird, begann mit düsteren, geradezu mystischen Klängen der Celli und Kontrabässe, bevor die anderen Streicher und die Holzbläser, voran die Oboen, das liebliche Thema dagegensetzten. In immer neuen Takten wurde die Tonfolge aufgenommen und interpretiert. Dieses Wechselspiel setzte sich nicht ungestört fort, mit pathetischen Akkorden sorgten die Blechbläser und die ungemein präzise akzentuierende Pauke für schockartige Unterbrechungen. In diesem ersten Satz übernehmen unterschiedliche Instrumente die Führung, Oboen, Celli, Flöten und Hörner, die Violinen: Eine hervorragende Gelegenheit für das Orchester, seine eindrucksvolle Bandbreite zu demonstrieren – und die hat es mit Erfolg genutzt.

Der zweite Satz von Schubert wird andante con moto gespielt, also mäßig langsam, aber mit Bewegung. Er begann heiter und friedlich, und diese Grundstimmung prägte bei aller Differenziertheit den gesamten Verlauf. Die Musikerinnen und Musiker schufen spielerisch eine Stimmung, als ginge man in einen heiteren Frühlingstag hinein – namentlich die Holzbläser, Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotte sorgten für Aufhellungen. Bemerkenswert auch die sauber gegriffenen Pizzicati, das Zupfen der Saiten, mit denen die Celli und Kontrabässe das Klangbild bereicherten. Dem starken Beifall nach zu schließen, bescherte die Sinfonia mit Schuberts Unvollendeter dem Publikum durchaus einen vollendeten Musikgenuss.

Pianistin Marie-Therese Zahnlecker gastiert

Auch das zweite Stück, das Klavierkonzert Nr. 1 von Chopin, gehört zu den Klassikern der Romantik. Das Orchester hatte sich mit einer hochkarätigen Pianistin verstärkt: Marie-Therese Zahnlecker, vielfache Preisträgerin und gefragte Partnerin für Kammermusik, nahm nicht zum ersten Mal bei einem Sinfonia-Konzert am Klavier Platz: Bereits 2012 und 2017 hatte sie mitgewirkt. Als sie am Samstagabend die ersten Tasten anschlug, wurde klar, warum sie gerne wieder verpflichtet wird. Die Musikfreunde erlebten, welch eine Vielfalt an Tönen diese Frau aus ihrem Klavier zaubern kann.

Chopins Konzert ist im ersten Satz gefühlvoll und sehnsüchtig. Zunächst spielte nur das Orchester, bis sich das Klavier dann klar und kräftig meldete. Schon bald schlug auch die Pianistin träumerische und nachdenkliche Töne an. Im Wechsel mit dem Orchester übernahm Zahnlecker, wie vom Komponisten so angelegt, die Führung. Vor dem Hintergrund hübscher Einzelpassagen, zum Beispiel von den Flöten, entfaltete die Künstlerin die ganze Bandbreite ihres Könnens. Ihre Töne reihten sich aneinander wie Perlen an einer Schnur, eilten in virtuosen Läufen dahin, verschmolzen zu einem glitzernden Bach, der mal gemächlich, dann wieder rasch sprudelte, voller Leben.

Töne wie funkelnde Sterne

Chopins Konzert gewinnt in den Sätzen zwei und drei an Tempo und Temperament. Im zweiten Satz, der Romanze, drückte das Klavier tiefe Gefühle aus, wobei einerseits Zahnlecker in Partien der Streicher eigene markante Akzente betonte, andererseits unterstützten Holzbläser wie das Fagott die Führung des Klaviers, ein wahrlich schönes Zusammenspiel. Die Pianistin setzte immer wieder Töne wie funkelnde Sterne in den Raum. Im dritten Satz, dem temperamentvollen Rondo vivace, zogen Orchester und Solistin noch einmal alle Register ihres Könnens: Zahnlecker mit tänzerischen Klängen, die Blechbläser mit der ganzen Macht ihrer Instrumente.

Nach ihrer mit starkem Applaus bedachten Leistung kam Marie-Therese Zahnlecker nicht umhin, noch eine kleine Zugabe zu spielen. Mit der Prelude in E-Moll, ebenfalls von Chopin, klang der Abend mit sanften, verhaltenen Tönen aus.